Das Herz und die grüne Heimat des Bieres

Michael Friedmann
6 min readNov 30, 2021

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°Circles — das Ende der Linearität”
Episode 2

Gelassenheit. Eine Eigenschaft, die man wahrscheinlich braucht, um gutes Bier zu brauen.

Auf jeden Fall eine Eigenschaft, die man Braumeister Andreas Werner sofort zugesteht, wenn er beginnt, die Entwicklungsgeschichte der Brauerei Göss und die schrittweise Umsetzung zur grünen Brauerei zu schildern:

Die Stiftung des Nonnenklosters in Göss bei Leoben erfolgte im Jahre 1004 durch Adala, der Pfalzgräfin von Bayern. Die Nonnen begründeten auch die Brautradition. 1782 wurde das Kloster durch Josef II aufgelassen. Erst ab 1860 wurde der Braubetrieb wieder aufgenommen und die Erfolgsgeschichte zum bekanntesten und am meisten getrunkenen Bier Österreichs begann ihren Lauf zu nehmen.

1910 wird die Gösser Brauerei zu Aktiengesellschaft. 1973 erfolgte der Zusammenschluss mit Reininghaus zur Steirerbrau AG. 1997 fusionierte die Steirerbrau mit der Brau AG zur Brauunion Österreich AG, die dann 2003 von Heineken übernommen und dadurch Teil eines der weltweit größten Bierkonzerne wurde. In der Brauerei Göss arbeiten heute rund 150 Personen, 70 davon in der Produktion, in der jährlich 1,4 Mio. Hektoliter Bier hergestellt werden.

Das hopfige Bier aus der Steiermark ist heute das beliebteste und meistgetrunkene Bier Österreichs und das Gute daran ist, dass es nicht nur hervorragend schmeckt, sondern dass man es auch mit gutem Gewissen trinken kann! Denn seit 2016 wird in Göss klimaneutral gebraut. Als erste Brauerei in Österreich, aber auch als erste Brauerei der Heineken Gruppe (und damit wahrscheinlich der Welt), wurde der gesamte Energieverbrauch auf Erneuerbare Energien umgestellt.

Braumeister Andreas Werner und Fotograf Wolfgang Reithofer am Dach der Brauerei Göss.

Mut. Eine Eigenschaft, die man sicherlich braucht, um neue Wege zu gehen.

Die erste Aktivität für den Umweltschutz wurde 1997 gesetzt, als eine eigene Kläranlage in Betrieb genommen wurde. 2002 wurde dann begonnen, die Maischerückstände, den sogenannten Biertrebern zu verbrennen, und diese Energie im Brauprozess zu nutzen.

Und dann keimte langsam die Idee, dass es möglich sein könnte, alle fossilen Energieträger der gesamten Brauerei schrittweise durch erneuerbare zu ersetzen. Was braucht man für die Umsetzung einer solchen Idee? „Man muss alle relevanten Daten erheben. Und man braucht gute Partner wie AEE Intec“, so Andreas Werner. Also startete man 2004 mit dem akribischen Erheben und Sichten der Energieverbrauchsdaten. Zwei Jahre später, also 2006, wurde der nächste Schritt gesetzt: Das Biogas der Kläranlage wurde der thermischen Nutzung zugeführt und damit konnten ca. 10% der Wärmemenge der Brauerei substituiert werden.

Ermutigt durch die erhobenen Energiepotentiale und die Möglichkeit, Fernwärme aus dem Biomasseblockheizkraftwerk eines großen, in der unmittelbaren Nachbarschaft gelegenen Sägewerkes zu beziehen, entstand die Vision der „Grünen Brauerei“ — von da an war Nachhaltigkeit ein integraler und wesentlicher Teil der Gesamtstrategie!

2007 wurde dann mit der Nutzung der Fernwärme des Sägewerkes begonnen. Das Temperaturniveau liegt bei 90°C. Rund 5 GWhth stehen für die Nutzung im Heißwassernetz zum Waschen des Leerguts, für das Pasteurisieren, zum Heizen des Brauwassers und der Gebäude zur Verfügung und decken etwa 40% des jährlichen Wärmebedarfs der Brauerei. Technologisch war das eine sehr große Veränderung, ist doch der traditionelle Wärmeträger einer Brauerei Dampf. Und um diesen zu erzeugen, wird üblicherweise Erdgas eingesetzt. Erst die Umstellung der Prozesse auf 90°C heißes Wasser ermöglichte auch die Nutzung der nachbarschaftlichen Fernwärme.

Im Sudhaus.

Parallel dazu startete 2006 die Umstellung auf österreichische Rohstoffe. Der Hopfen kommt aus Leutschach in der Südsteiermark, die Gerste zumeist aus dem Marchfeld und dem Burgenland. Und das Wasser, das kommt ohnehin aus den steirischen Bergen!

Ab 2012 übernahm die Sonne am Fußballplatz der Brauerei das Spiel und heizt seitdem auf dieser Fläche ordentlich ein! 1.470 m² Solarkollektoren mit einer maximalen Heizleistung von über 1.000 kW liefern rund 500 MWhth jährlich und damit weitere 3 bis 5% des Wärmeenergiebedarfs. Als Puffer dient ein 200 m³ Solarenergiespeicher.

„Grüne Energie zu Göss“: Solaranlage, Biogasanlage und Wärmespeicher.

Ausdauer. Eine Eigenschaft, die man dann braucht, wenn man das Licht am Ende des Tunnels nur erahnen kann.

Mit der Solaranlage konnte 2012 erstmals 50% des Wärmebedarfs über erneuerbare Energien gedeckt werden. Die Hälfte war also geschafft! Doch wie soll es nun weiter gehen?

Und wieder wurde auf eine partnerschaftliche Vorgangsweise gesetzt! Neben AEE Intec wurde nun BDI an Bord geholt, um eine Biertrebervergärungsanlage zu errichten und zu betreiben. Der Anfall dieses aus dem Brauprozess stammenden Reststoffes ist enorm! Täglichen werden in Göss bis zu 7.500 hl Bier gebraut, dabei fallen ca. 100 t Treber an. Dieser wurde bis zu diesem Zeitpunkt (nicht immer ganz zuverlässig) von Bauern abgeholt, um als Viehfutter verwendet zu werden. Nun, da es den Biertreber nicht mehr gratis zur Abholung geben sollte, wurde protestiert. Nach einigem Hin und Her konnte man sich einigen und heute, Dank des Wachstums der Brauerei, steht auch wieder genug überschüssiger Treber für die Bauern zur Verfügung.

2015 war es dann so weit: Die Biogasanlage ging in Betrieb. Die Hälfte des im anaeroben Vergärungsprozess gewonnenen Biogases wird zur Dampferzeugung eingesetzt. Die andere Hälfte wird in einem eigenen Blockheizkraftwerk verstromt und die Abwärme wieder für den Fermentationsprozess in der Biogasanlage genutzt.

Darstellung der Erneuerbaren Input- und energetischen Output-Ströme im Jahr 2017 (Datenquelle: Brauunion Österreich, 2018).

Durch das Blockheizkraftwerk kann nur der halbe Strombedarf der Brauerei gedeckt werden. Die andere Hälfte wird als Ökostrom zugekauft. Somit werden seit 2016 jährlich rund 1,4 Mio. Hektoliter Bier zu 100% mit Erneuerbarer Energie gebraut. Die Produktion selbst beansprucht ungefähr die Hälfte der Energie. Die anderen Bereiche wie die Reinigungs-, Abfüll-, Kälte- und Pressluftanlagen, die Betriebs-, Lager- und Werkstattgebäude verbrauchen den Rest.

Braumeister Andreas Werner vor der Biogasanlage.

Weitsicht. Eine Eigenschaft, die man braucht, um ganzheitliche Lösungen zu entwickeln.

Aufgrund des Einsatzes der grünen Energien, ist die Produktion seit 2016 zu 100% CO2 neutral. An die 4.000 Tonnen CO2 werden jährlich vermieden. Doch Andreas Werner gibt sich damit nicht zufrieden. Am Horizont zeigen sich weitere Potenziale und Ansatzpunkte: Die Rückstände aus der Biomassevergärung könnten als phosphat- und kaliumreicher Biodünger verwendet werden, um den Humusaufbau zu unterstützen und damit noch mehr CO2 zu binden. Derzeit wird gerade daran gearbeitet, die Wertstoffe aufzukonzentrieren, um den Reststoff in ein hochwertiges Produkt umzuwandeln.

„Die zirkuläre Wirtschaft ist der Königsweg“, meint Andreas Werner, beschreibt die Sustainability Agenda des Bierkonzerns mit den Worten: „Ambition statt Amortisation“ und unterstreicht, dass sich ökologisches Wirtschaften auf Dauer immer rechnet!

Braumeister Andreas Werner und Michael Friedmann freuen sich auf ein frisches Glas Gösser.

Lebensfreude. Eine Eigenschaft, die man mit gutem Bier zelebrieren kann.

Stolz können die Steirer auf ihr grünes Bier sein! So sind die Entwicklungen in Göss Basis und Motivation für die anderen Brauereien der Brauunion, die entsprechend ihren Möglichkeiten nachhaltige Schritte setzen. So ist beispielsweise das Schladminger Bier mittlerweile auch schon vollständig mit erneuerbarer Energie versorgt und auch in Puntigam, Villach und Falkenstein werden ähnliche Ziele verfolgt. In Summe hat sich die gesamte Brauunion zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Anteil der Erneuerbaren Energie auf 70% zu steigern. Und damit nicht genug: Die grünen Energiekonzepte von Göss dienen mittlerweile im gesamten Heineken Konzern als Vorbild für viele Brauereien auf der ganzen Welt!

Ein Grund zum Feiern meinen wir und genehmigen uns ein frisches Gösser, bevor es mit dem Zug wieder retour über den Semmering geht!

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Michael Friedmann
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Written by Michael Friedmann

Born 1968 in Graz. Master degree in chemical engineering. Founder of the Institute for Clean Technology. Loving my wife, my 2 kids and our planet!

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