Der radelnde Musiker

Michael Friedmann
5 min readJun 5, 2021

°Circles — Das Ende der Linearität
Episode 1

Manu Delago und sein Team haben es geschafft! Am 2.6.2021 kam der kleine, nachhaltige Tour-Tross nach 33 Tagen und über 1.500 km am Fahrrad wieder am Ausgangspunkt an und beendete die “ReCycling Tour 2021” standesgemäß mit zwei Konzerten im Treibhaus in Innsbruck.

So besonders sein Instrument, das Hang, so besonders ist auch seine Initiative!
Manu Delago möchte zeigen, dass sich Musik und Nachhaltigkeit sehr gut verbinden lassen und damit auch beweisen, dass man mit wenig Energie und großem persönlichem Engagement eine Tour auf Fahrrädern bestreiten kann.

Tourkarte (Quelle: Manu Delago ReCycling Tour 2021)

Fast jeden Tag wurde geradelt und fast jeden Tag wurde gespielt! Alles, was für das Musizieren und die Show gebraucht wurde, fand inklusive der persönlichen Dinge und der Verpflegung Platz in Fahrradanhängern von Hinterher. Die Energie für die minimale Licht- und Tontechnik kam von der Sonne: Jeder Anhänger war mit einem PV Modul und einer 500 Wh Batterie ausgestattet, die täglich neu geladen wurde. Das reichte dann für einen 90 minütigen Auftritt am Abend.

Band und Crew mit Fahrradanhängern inklusive integrierter PV Module und Akkus (Foto: Wolfgang Reithofer)

Einen Tag durfte ich das Team, das neben Manu Delago (Hang, Electronics und Team Captain), aus den beiden Musikern Tobias Steinberger (Percussions und Wäsche) und Alois Eberl (Posaune, Akkordeon und Verpflegung), aus dem Tontechniker, Navigator, Tourarzt und Flötisten Lukas Froschauer und dem Licht- und Solartechniker Simon Schindler besteht, von Melk nach Krems durch die Wachau begleiten.

100 km im Dauerregen am Vortag hatten an Mensch und Material Spuren hinterlassen. Darum wurde dem strapazierten Material zum Etappenstart eine Grundreinigung gegönnt. Der radelnden Künstlergruppe hatte dann die Sonne während der Fahrt die Gemüter erwärmt, die Akkus geladen und vor allem auch für gute Stimmung gesorgt.

Der Tour-Tross in der Wachau (Foto: Wolfgang Reithofer)

Musiziert wurde nicht nur mit den mitgebrachten Instrumenten, sondern auch mit fast allem, was auf der Tour dabei war: Fahrräder, Anhänger, Ersatzkette, Luftpumpe etc. Und damit nicht genug: Percussionist Tobias hatte die Aufgabe, am Straßenrand liegende Dinge mitzunehmen und diese dann auch als Instrumente zu benutzen!

Täglich wurde in Videoblogs und in unzähligen Postings vom Tourgeschehen berichtet und dabei auch auf unser aller Impact im Alltag hingewiesen. Ohne erhobenen Zeigefinger wurde gezeigt, wie man diesen nachhaltiger gestalten kann. Die ausnahmslos vegetarische Verpflegung wurde — zumeist von örtlichen Fans — täglich frisch dem Team gebracht und ohne Verpackung in recyclebaren Lunchboxes mitgenommen.

Minimalistische aber effektvolle Lichtshow (Foto: Simon Reithofer)

In einem persönlichen Gespräch habe ich mit Manu Delago über seine Motivation und seine Ideen gesprochen: Er möchte zeigen, dass es anders, einfacher und damit nachhaltig gehen kann. Denn wenn es möglich ist, eine Konzerttournee energieautark und mit geringstmöglichem Footprint zu organisieren, dann kann das uns allen auch im Alltag gelingen!

Normalerweise ist eine Tour ein energie- und ressourcenfressendes Unterfangen: Licht und Bühnentechnik, die Bewältigung des Transportes, das Catering und die Bewirtung der Zuseher, um nur die vorrangigsten Beispiele zu nennen, brauchen Unmengen an Strom und Material. Natürlich wurde auch das Publikum gebeten, so nachhaltig wie möglich (also zu Fuß, mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln) zu den Konzerten zu kommen. Durch die Auseinandersetzung mit allen Einflussfaktoren und die Besinnung auf das Wesentliche wird erst bewusst, wie vielfältig und weitreichend unser tägliches Handeln unsere Umwelt beeinflusst.

Das Team überquert die Donau (Foto: Wolfgang Reithofer)

Zur Abschätzung der CO2 Einsparungen der “ReCycling Tour 2021” kann man folgende überschlägige und konservative Rechnung anstellen:

Normalerweise würde das kleine Team von 6 Personen (inkl. Foto-/Videographer) zumindest zwei Autos einsetzen. Auf 1550 gefahrenen Kilometern und einem CO2-Ausstoß von 120 g/km würden damit in Summe 372 kg CO2 emittiert werden.

Die 5 PV Module auf den Fahrradanhängern liefern täglich jeweils ca. 500 Wh Energie. Das macht über 33 Tage in Summe knapp 83 kWh, die im österreichischen Strommix (mit 90 g CO2/kWh) etwa 7 kg CO2 einsparen.

Die vegetarische Ernährung, also der Verzicht auf Fleisch, bringt fast genauso viel, wie der Verzicht auf die Benutzung von Autos: Bei einem Mix aus einem Drittel Rindfleisch mit über 17 kg CO2e/kg Fleisch und zwei Drittel Geflügel oder Schweinefleisch mit jeweils ca. 3 kg CO2e/kg Fleisch kommt man bei einem Gesamtfleischkonsum von 40 kg für 6 Personen und 33 Tagen auf eine CO2e Einsparung von 322 kg. In diesem Fall werden die Methanemissionen der Wiederkäuer und die Lachgasemissionen, die beim Anbau der Futtermittel — insbesondere aus dem Dünger — entstehen, in CO2-Äquivalente umgerechnet(daher also “CO2e”; die Emissionsdaten stammen vom deutschen Umweltbundesamt).

Auf Verpackungen (z.B. von Essen und Trinken aus dem Supermarkt) wurde ganz bewusst verzichtet. Wieviel dies bringt? Wenn man davon ausgeht, dass sich normalerweise pro Person entsprechend dem österreichischen Durchschnitt ca. 650 g Kunststoffverpackung pro Woche ansammeln und man für die Produktion von Plastik einen Wert von 1,3 kg CO2/kg Plastik ansetzen kann, ergibt sich eine eingesparte CO2 Emission von fast 24 kg. Und wenn jedes Teammitglied täglich eine Alu-Getränkedose mit einem Gewicht von 14 g Aluminium gekauft hätte, wären unter konservativer Annahme einer CO2 Emission von 9 kg CO2/kg Aluminium weitere 25 kg CO2 angefallen.

Berechnete CO2 Einsparungen bei der ReCycling Tour 2021 (Quelle: ICT Institute for Clean Technology)

Um ein Gefühl für die Relationen zu bekommen: Die durchschnittlichen jährlichen CO2 Emissionen jedes Österreichers betragen ungefähr10 Tonnen, also ca. 830 kg pro Monat. Das Beispiel der Tour zeigt daher auch sehr plakativ auf, was jeder von uns tun kann! Durch Reduktion von Fleischkonsum und Autofahrten lässt sich unser aller Footprint rasch unter die 10 Tonnenmarke drücken. Mit etwas Engagement kommt man dadurch auf Einsparungen von gut zwei Tonnen pro Jahr. Weitere Potentiale ergeben sich dann beim Heizen und Kühlen und natürlich auch durch bewussteren Konsum.

Wie schön, dass Manu Delago die für manche von uns langweiligen und abschreckenden Berechnungen weglässt und über die Musik mit uns spricht! Abends, bei den Sessions und Konzerten, sind die Strapazen des Tages vergessen und die Künstler sind in ihrem wahren Element:
Rhythmische, erdige Musik, die uns anspricht, mitnimmt und inspiriert.

Manu Delago im Stadtsaal in Wien (Foto: Simon Reithofer)

Inspiration ist das magische Wort, das Manus Gesicht erstrahlen lässt!
Er möchte so viele Menschen wie möglich, auch außerhalb der Musikindustrie, anstecken und begeistern!
Damit viele beginnen, einen Beitrag zu leisten und es einfach auszuprobieren: Einen Schritt — oder Pedaltritt — nach dem anderen in Richtung eines bewussten und nachhaltigen Lebensstils zu gehen.

Das offizielle “ReCycling Tour 2021” Video findet Ihr hier.

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Michael Friedmann

Born 1968 in Graz. Master degree in chemical engineering. Founder of the Institute for Clean Technology. Loving my wife, my 2 kids and our planet!